Toni Kalberer, wer ist Seniordrive, welches Tätigkeitsfeld übt die Organisation aus und wie ist sie entstanden?

Seniordrive ist im Bereich der Strassenverkehrssicherheit tätig und setzt sich insbesondere für die sichere und kompetente Mobilität der reiferen Autofahrerinnen und Autofahrer ein. Gesamtschweizerisch ist Seniordrive der einzige Verband, der Fahrlehrer in einer mehrtägigen Ausbildung zum Seniordrive-Coach schult und prüft. Dazu wird mit Ärzten, Kliniken, Versicherungen, Behörden und vielen weiteren Institutionen, die sich für die Verkehrssicherheit einsetzen, zusammengearbeitet. Damit Automobilistinnen und Automobilisten auch im Alter noch sicher unterwegs sind, engagiert sich Seniordrive für deren Mobilität und Sicherheit.

2004 organisierte Karl Seiler aus Wil mit Fahrlehrern aus der Region des OFV die erste Ausbildung zum Fahrberater. Da die Nachfrage nach dieser Ausbildung gross war, gründeten die ausgebildeten Fahrberater mit Karl Seiler 2006 den Schweizerischen Fahrberater-Verein.

Da sich der Fahrberater-Verein und die geschulten Fahrberater von nicht geschulten Fahrberatern unterscheiden wollten, entschloss man sich 2021, einen neuen Namen zu kreieren. Und damit man ein schweizweites Ansehen bekommt und der Name in allen Sprachen verständlich ist, einigte man sich auf «Seniordrive» und schloss sich dem neugegründeten Verein Swissdrive an. Swissdrive ist eine neutrale Organisation, die sich der Verkehrssicherheit verpflichtet hat. Im Vordergrund steht dabei die Aus- und Weiterbildung der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden.

Viele ältere Fahrzeuglenkende sind überzeugt, dass ihre Fahrkompetenz noch genügend gross ist, um am Strassenverkehr teilzunehmen. Gibt es eine verlässliche Möglichkeit, die Fahrkompetenz zu überprüfen, und wenn ja: Wie erfolgt eine solche Überprüfung?

Wenn es gilt, ausserhalb der obligatorischen Fahreignungskontrolle ab 75 die Fahrerlaubnis zu erörtern, stellt die Überprüfungsfahrt eine wertvolle und gesetzeskonforme Ergänzung zur medizinischen Untersuchung dar. Besonders ältere Fahrer mit reduzierter Fahrroutine werden damit umfassender und sorgfältiger betreut. Bestandteile einer Überprüfungsfahrt sind: Kontrolle des korrekten und sicheren Fahrens, Suche nach den im Alter häufig vorkommenden Fahreinschränkungen, Tipps und Übungen sowie Besprechung individueller Vorsichtsmassnahmen.
Die Überprüfungsfahrt ist in sieben Teile gegliedert. Der Coach ist nicht Experte, der aufgrund der Fahrt über den Entzug des Führerausweises entscheidet. Er hält lediglich Stärken und Schwächen während der Überprüfungsfahrt fest. Empfehlungen, Vorsichtsmassnahmen, Verbesserungen und Tipps werden danach diskutiert und protokolliert.

Bei manchen Fahrern zeigt sich, dass wegen mangelhafter oder sturer Fahrweise die Fahrkompetenz nicht mehr genügend ist. Diese kritische Situation erklärt der Seniordrive-Coach klar und doch einfühlsam seinem Kunden und auf Wunsch auch dessen Angehörigen, dem Arzt oder der Versicherung. Dank dieser Beratung wird die Chance verbessert, möglichst lange sicher und unfallfrei zu fahren.

Autofahrerinnen und Autofahrer, die sich freiwillig für eine Überprüfungsfahrt bei einem Seniordrive-Coach melden, sind nicht die «gefährlichen» Verkehrsteilnehmer. Ihnen kann man Tipps geben und sie schulen. Seniordrive macht sich Gedanken, wie man die «risikoreichen» Autolenkerinnen und Autolenker frühzeitig aus dem Verkehr ziehen kann, bevor es zu einem Unfall kommt. Aus diesen Gedanken startet Seniordrive ein Projekt mit einer Versicherung, das in Planung ist.

Art. 14 SVG besagt, dass Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen müssen. Trotz Interventionen von Seniordrive ist es leider immer noch so, dass ab 75 Jahre alle zwei Jahre nur die Fahreignung, also das Medizinische beim Autofahrer geprüft wird. Die Fahrkompetenz, das Fahren im Verkehr, wird nicht geprüft. Hier muss ein Fahrzeuglenker zuerst die Verkehrssicherheit gefährden oder sich auffällig im Verkehr verhalten, bevor er zu einer Untersuchung oder Kontrollfahrt aufgefordert wird.

Wie ist Ihre Meinung zur Möglichkeit nach Art. 34 VZV, den Führerausweis mit Beschränkung zu beantragen, statt den Führerausweis abzugeben?

Die kantonale Behörde kann den Führerausweis von Personen, welche die medizinischen Mindestanforderungen auch mit Hilfsmitteln nicht mehr vollständig erfüllen, beschränken, statt ihn ganz zu entziehen. Ein Arzt mit der Anerkennung der Stufe 4 muss beurteilen, mit welchen Beschränkungen eine sichere Teilnahme am Verkehr noch möglich ist.

Gemäss einer Umfrage von Seniordrive gibt es sehr wenige Kantone, die für den Führerausweis mit Beschränkung Werbung machen. Es fehlt das Interesse, da die Umsetzung und Kontrolle durch die Polizei erschwert ist. Zudem braucht es ein Gesuch für eine Beschränkung, das vor dem Arztbesuch oder vor der amtlichen Kontrollfahrt eingereicht werden muss. So kennt der Kunde diese Möglichkeit nicht. Und wenn er bei einem Seniordrive-Coach die Überprüfungsfahrt gemacht hat, ist es für eine Beschränkung meistens zu spät. 

Wie bereite ich mich auf den Zeitpunkt der freiwilligen Abgabe des Führerausweises vor? Was sollte ich beachten?

Für jeden kommt früher oder später der Moment, den geliebten Führerausweis abzugeben. Jemandem zu erklären, dass er auf sein Fahrzeug verzichten soll, braucht vom Seniordrive-Coach viel Einfühlungsvermögen. Ist die Überprüfungsfahrt negativ verlaufen, sucht der Seniordrive-Coach das Gespräch mit seinem Kunden und erklärt ihm, dass der Zeitpunkt für eine freiwillige Abgabe gekommen ist. Er informiert den Arzt oder die Familienmitglieder über dieses Gespräch. Für die meisten ist dies ein einschneidendes Ereignis, denn die öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht überall gleich gut und zudem ist der Senior vielmals körperlich oder auch geistig nicht mehr in der Lage, auf Bus, Tram oder Bahn umzusteigen. Arztbesuch, Einkauf und auch persönliche Kontakte werden schwierig oder sind nicht mehr eigenständig möglich. Es wäre wichtig, dass sich die reifere Generation frühzeitig mit E-Bike-Fahren und öffentlichen Verkehrsmittel auseinandersetzt.

Vielen Dank für das Interview.
 

Online-Veröffentlichung: 26.08.2022
Interview geführt durch Ravaldo Guerrini