Zukunftssorgen: Muss die Fahrlehrerschaft den Gürtel enger schnallen?
Entspannte Fahrlehrer gibt es derzeit nur noch wenige in der Schweiz. Viele machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Die Zeiten in der Fahrschulbranche sind, auch wegen des harten Wettbewerbs und der zurückgehenden Schülerzahlen, nicht besonders rosig. In manchen Regionen gibt es deutlich mehr Fahrschulen als Bäckereien oder Coiffeursalons.
Die Fahrlehrerschaft steht unter Druck, seit der Bundesrat im Dezember 2018 die neuen Vorschriften zur Ausbildung im Strassenverkehr erlassen hat. Die Gesetzesänderungen verkleinern die Kundenbasis der Fahrlehrerschaft. Die Gründe dafür sind vielfältig.
- Seit dem 1. Februar 2019 dürfen handgeschaltete Autos gefahren werden, auch wenn die Prüfung auf einem Fahrzeug mit Automatengetriebe gemacht wurde. So braucht es weniger Fahrstunden bis zur Prüfungsreife.
- Seit 2020 gibt es nicht mehr zwei Weiterbildungstage (WAB) für Neulenker, sondern nur noch einen. Viele Fahrlehrer verdienten bisher einen Teil ihres Geldes als Instruktoren bei den Zweiphasenkursen.
- Seit 2021 erhalten schon 17-Jährige den Lernfahrausweis. Das bedeutet, dass mehr privat mit den Eltern und weniger in der Fahrschule geübt wird.
- Der Besuch des Verkehrskundeunterrichts, Motorrad-Grundkurse und die bestandene Theorieprüfung sind zeitlich unbeschränkt gültig. So gibt es auch hier keine Repetenten mehr.
- Wer unter 20 Jahre alt ist und die praktische Führerprüfung machen will, muss mindestens 12 Monate lang im Besitz des Lernfahrausweises sein. Fahrpraxis sammeln, wie dies angedacht war, wird häufig nicht umgesetzt. Um die einjährige Wartefrist zu umgehen, wird der Einstieg ins Autofahren-Lernen vermehrt auf nach dem 20. Geburtstag verschoben.
Dazu kommt der Jo-Jo-Effekt der Corona-Zeit mit den Übergangsfristen im Bereich Motorrad und der Sonderregelung der Jahrgänge 2002/2003. Sie haben 2020/2021 zu einem starken Anstieg der Auftragslage bei der Fahrlehrerschaft geführt. Im 2022 wird sich die Auftragslage wieder auf dem Niveau von 2019 einpendeln. Diese Entwicklung bestätigt auch die Führerprüfungsstatistik der asa.
Zunahme der Führerprüfungen
2021 hat die Zahl der praktischen Führerprüfungen in der Kategorie B für Personenwagen um 25,4 % zugenommen. Es handelt sich wohl um eine vorübergehende, massgeblich von den ab dem 1. Januar 2021 gültigen Führerausweisvorschriften beeinflusste Entwicklung.
Bereits 2020 war bei der Basistheorie-Prüfung für die Kategorien A, A1 und B trotz der Pandemie eine starke Zunahme festzustellen. 2021 hat sich diese Entwicklung in einem ähnlichen Rahmen fortgesetzt. Zusätzlich nahmen auch die praktischen Prüfungen in den Kategorien A und B stark zu.
Wie das Bundesamt für Strassen bereits bei der Präsentation der aktuellen Führerausweisstatistik festgestellt hatte, dürfte die Hauptursache dieser Entwicklung bei den per 1.1.2021 geänderten Führerausweisvorschriften liegen. Wer ab diesem Datum vor dem zurückgelegten 20. Altersjahr den Führerausweis für Personenwagen erwirbt, muss nun eine Lernphase von 12 Monaten durchlaufen. Dies hat wohl viele Neulenkende motiviert, den Führerausweis noch nach dem alten Recht zu erwerben. Gleichzeitig darf der Lernfahrausweis neu bereits im Alter von 17 Jahren beantragt werden, damit die Führerprüfung trotz der einjährigen Lernphase mit 18 absolviert werden kann.
Von der ausserordentlichen Entwicklung wenig beeinflusst wurden die Erfolgsquoten der einzelnen Kategorien. Die im vorangegangenen Jahr festgestellte leichte Verbesserung der Erfolgsquote bei der Basistheorie blieb 2021 auf dem gleichen Niveau. Auch die durchschnittliche Erfolgsquote aller Prüfungskategorien blieb unverändert.
Bei den Erfolgsquoten der praktischen Prüfungen fällt lediglich der Rückgang bei der Kat. A (Motorräder) um 3,9 % etwas aus dem Rahmen. Ob ein Zusammenhang mit der Prüffrist nach altem Recht besteht, indem mit ungenügender Fahrausbildung noch vor Juli 2021 die Fahrprüfung zu bestehen versucht wurde, kann mit dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial nicht festgestellt werden. Bei den übrigen Kategorien blieben die Schwankungen im üblichen Rahmen.
Kehrtwende bei der Auftragslage
Bereits Ende 2021 kündigte sich jedoch eine Kehrtwende bei der Auftragslage der Fahrlehrerschaft an. Vermehrte Anfragen von verunsicherten Fahrlehrer:innen bei ihren regionalen Fahrlehrerverbänden spiegeln die jetzige Marktsituation der Fahrlehrerschaft.
Konkret erhielten die Verbandssekretariate auch von langjährig tätigen Fahrschulen die Rückmeldung, dass viele Neulenker das «obligatorische Jahr» verstreichen lassen und wenn überhaupt sich erst kurz vor der Führerprüfung bei einer Fahrschule melden. Viele Anfragende möchten in Erfahrung bringen, ob nur sie von einem bedeutenden Rückgang bei den Anmeldungen für Autofahrstunden betroffen sind.
«Fakt ist, dass gesamtschweizerisch ein bedeutender Rückgang bei Neuanmeldungen von Fahrschüler:innen der Kategorie B zu verzeichnen ist.»
Preisentwicklung bei den Fahrschulen
Die Preisentwicklung bei den Fahrstunden der Kategorie B hat sich zudem in den letzten 20 Jahren nicht dem Gegenwert und den gestiegenen Unkosten angepasst. Gemäss einer Umfrage in den Regionen der Ostschweiz bereiten vor allem anhaltend hohe Treibstoffkosten und Sozialabgaben Sorgen. Im Jahre 2000 kostete in vielen Regionen eine Fahrstunde (50 Min.) im Durchschnitt 87 Franken. Eine Erhöhung des Preises pro Lektion wäre also gerechtfertigt. Bedingt durch die schlechte Auftragslage und den Konkurrenzdruck setzen Fahrschulbetreiber ihre Preise jedoch tiefer statt höher an und offerieren viele Aktionen, Vergünstigungen und Rabatte. Dass es auch anders geht, zeigen Fahrschulen, die für eine Lektion à 50 Min. 100 Franken und mehr in Rechnung stellen und trotzdem Arbeit haben, ohne VKU und Nothilfekurs zusätzlich zum Nulltarif anzubieten.
Wer eine seriöse Kalkulation von Fahrstunden, VKU usw. in Erwägung zieht, kann dies mit einem einfachen und günstigen Tool (40 Franken) berechnen.
Dienste von Vermittlern
Sorge bereiten den Regionalverbänden die sogenannten «Fahrschüler-Vermittler». Diese vermitteln Fahrschüler:innen für Nothilfe, Motorrad und Autoausbildung gegen Entgelt. Teilweise möchten Vermittler auch Fahrschulen kaufen. Ihre Dienstleistungen bieten diese zugleich in unterschiedlichen Regionen an.
Gegen Vermittler, die für Werbeanzeigen auf Google ein Tagesbudget von über 1000 Franken zur Verfügung haben, wird es für den Einzelbetrieb fast unmöglich, sich in der Google-Werbung weit oben zu platzieren. Sind diese Vermittler wirklich «Freunde» von Fahrlehrer:innen? Welche Auswirkungen hat die Nutzung dieser Angebote mittel- und langfristig?
Online-Veröffentlichung: 30.6.2022
Beitrag: Ravaldo Guerrini
Quellen: asa, OFV-AI, AR, SG, TG
Bild: lzf, stock.adobe.com